Spielspaß? Egal! Hauptsache: 100% UNCUT!
Ein Kommentar von Mathias Oertel, 27.01.2012

Ich muss zugeben: Es hat bei mir funktioniert. Denn ich hatte den Shooter-Reboot zu Syndicate nicht wirklich auf dem Schirm. Doch mit der Aussage des Produzenten, dass der Titel keine Freigabe seitens der USK bekäme, wurde meine Neugier geweckt. Wenn Titel wie Gears of War 3 oder Dead Space 2 es unbeschadet durch die Prüfungstortur schaffen, was muss dann Syndicate vom Stapel lassen, dass es von der USK abgelehnt wird?

Doch zum einen ist es noch nicht so weit. Electronic Arts schoss schnell eine Stellungnahme hinterher, dass der Release hierzulande noch nicht so ausgeschlossen ist wie die Produzenten-Aussage vermuten lässt. Zitat: „Tatsächlich ist die Prüfung noch nicht vollständig abgeschlossen und es besteht durchaus die Chance auf eine Alterskennzeichnung durch die USK.“ Mit anderen Worten: Die erste Prüfung fiel wohl negativ aus und EA geht in die (erste? zweite? dritte?) Berufung. Aber egal – der Schaden ist da. Ich muss auf jeden Fall mal in Syndicate reinschauen. Im Zweifelsfall in die Import-Version.

Denn ich mache gar keinen Hehl daraus, dass ich ein Faible für kompromisslose Action habe, bei der es auch nicht rot genug sein kann. Ich habe übrigens eine geheime Sektion in meinem Spieleschrank, in der ich die indizierten (oder aus dem Verkehr gezogenen) Titel aufbewahre – und ich bin stolz darauf, dort Spiele wie z.B. die von Monolith für Sega entwickelten Horror-Abenteuer um einen „verdammten“ Polizisten namens Ethan Thomas zu beherbergen.

Wieso auch nicht? Ich bin volljährig (mehr als doppelt) und wenn ich Stephen King, Clive Barker oder A.P. Fuchs lese, schreibt mir ja auch niemand vor, welche Seiten leer bleiben oder an welchen Textstellen in der deutschen Übersetzung die Leichen verschwinden. Und wenn die Software-Titel nicht nur auf die Gewaltdarstellung setzen, sondern auch inhaltlich überzeugen können – umso besser. Allerdings kann ich auf komplett hirnloses Zeug wie die Postals verzichten. Die haben mich im Gegensatz zu den Onechanbara-Mädels vollkommen kalt gelassen.

Natürlich brauchen wir hier nicht wieder grundsätzlich über den deutschen Erwachsenenschutz diskutieren, der zu den härtesten (und gleichsam willkürlichsten) Prüfmechanismen in Europa (ich würde sogar sagen: weltweit) geführt hat. Dazu haben ich und die Kollegen bereits ausreichend Stellung bezogen. Doch es ist durchaus interessant, welche Blüten der munter vor sich hin wuchernde Altersfreigabe-Garten manchmal treibt.

In Hochphasen erreichen uns täglich Pressemeldungen, dass es ein Titel wieder ungeschnitten durch die USK geschafft hat. „Mass Effect 3 erscheint 100% uncut in Deutschland!“ Klasse, die Vorgänger waren auch ab 16 und auch ungeschnitten. Es gab in dem SciFi-Shooter SciFi-Rollenspiel ja eigentlich auch keinen Grund zu schneiden – außer vielleicht bei lesbischer und/oder außerirdischer Liebe, die man der zarten deutschen Jugendseele nicht zumuten darf. „Assassin’s Creed Revelations erscheint ungeschnitten!“ Ebenso wie die Vorgänger, bei denen allerdings nicht ein derartiges Aufheben um diese Tatsache gemacht wurde und die allesamt von der USK mit dem „Ab 16“-Siegel versehen wurden.

Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass es gar nicht mehr so wichtig ist, dass das Spiel erscheint oder welche Inhalte es bietet, sondern nur noch, dass es ungeschnitten ist – selbst wenn es gar nicht in die Gefahr gekommen wäre, von der USK abgelehnt oder zu Schnitten verdonnert zu werden. Denn dieses Gütesiegel scheint gleichzeitig eine Art Verkaufsgarantie zu sein. Ich warte quasi auf die Meldung „Pokémon Mystery – Das Wimmelbildspiel erscheint zu 100% UNCUT“. Damit auch die letzten gewaltbereiten Killerspieler therapeutisch dazu angeleitet werden, dass man keine fliegenden Gliedmaßen oder hektoliterweise zinnoberrote Pixel benötigt, um Spaß zu haben. Hauptsache ungeschnitten – dann ist das schon cool genug!

Natürlich habe ich nicht nur angesichts von Aussetzern wie der deutschen Version von Bulletstorm keine Lust auf editierte Versionen. Doch ich möchte auch nicht das Gefühl haben, dass das „Uncut“-Siegel wichtiger war als die Implementierung von Spielspaß oder dass die ach so wichtige „Ungeschnitten“-Kennzeichnung für mich das Hauptargument sein soll, mich mit dem Spiel zu beschäftigen. Denn auch ohne Splatter kann man unvergessliche Momente erleben. Spiele wie Ico , Bastion, Portal 2 überzeugen auch ohne „Spiel mich, weil ich ohne Einschränkungen eine USK-Plakette bekommen habe“-Auszeichnung - obwohl es den Verkaufszahlen bestimmt nicht geschadet hätte.

Insofern hat EA dank der USK alles richtig gemacht: Die Ablehnung und der dadurch entstandene Buzz führt sicherlich den einen oder anderen Spieler zu Syndicate, der vorher keine Lust auf die Action hatte – so wie mich. Fast könnte man eine kalkulierte Aktion dahinter vermuten. Und das wäre wahrlich nicht das erste Mal, dass ein Titel seine Schwächen und damit seine mutmaßlichen Verkaufszahlen durch ein schickes „100% UNCUT“-Logo aufpeppen würde.

Mathias Oertel
Portalleiter

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