GC-Eindruck: Dragon Age: Origins

Dragon Age: Origins
22.08.2008 13:01, Jörg Luibl

GC-Eindruck: Dragon Age: Origins

Vor wenigen Wochen feierte Dragon Age: Origins (ab 1,00€ bei kaufen)  seine Premiere in Los Angeles (zum E3-Eindruck), in Leipzig hat Produzent Dan Tudge jetzt noch etwas mehr von dem Rollenspiel gezeigt, das vom Team gerne als "geistiger Nachfolger" von Baldur's Gate 2 bezeichnet wird. Kann man von BioWare etwas anderes erwarten als das große Epos? Nein. Und wenn ein Entwickler selbst der abgegriffenen, vor Klischees triefenden Fantasy frische Impulse abgewinnen könnte, dann die Kanadier.

Die große Stärke des Spiels soll einerseits in seiner Anpassung an eure Herkunft bzw. euer Volk und andererseits in den Konsequenzen auf eure Handlungen liegen - Tugenden, die man von BioWare kennt. Dan Tudge zeigte uns drei Situationen (Händler-, Gefangenen- und Söldnergespräch) in einem Lager mit einem rechtschaffenen menschlichen Krieger und einer Elfenmagiern. Während Ersterer freundlich angesprochen wird, schlägt Letzterer Argwohn und Missgunst entgegen, da Elfen als Rasse zweiter Klasse gelten. Hier kam sehr schnell Stimmung auf, da die emotionalen Spannungen dank der Mimik sehr gut transportiert werden.

Beide Charaktere kamen zudem in den Dialogen zu komplett unterschiedlichen Information, ja sogar Gegenständen: Dem Menschenkrieger hat der Gefangene im Laufe des Multiple-Choice-Dialogs einen Schlüssel angeboten, wenn er befreit wird; der Elfe hat er ihn nicht angeboten, aber dafür preisgegeben, dass er als Deserteur angeklagt wurde. Letztere konnte aufgrund ihrer Überzeugungswerte sogar die Wache überreden, dem armen Kerl Wasser und Brot zu bringen - diese Chance hatte der Mensch gar nicht erst. Dafür steht euch jederzeit frei, ob ihr euch an Recht und Gesetz halten wollt, oder nicht: Als der Gefangene den Schlüssel nicht rausrücken wollte, hat der Menschenkrieger ihn einfach in seinem Käfig erstochen. Dafür wurde er von der Wache zurecht gewiesen, die Meldung machen wollte, aber auch gegen ein paar Goldstücke nichts einzuwenden hatte...

...ihr seht schon: Man kann dieses Abenteuer auf ganz verschiedene Arten erleben - je nachdem, wer man ist und wie man sich verhält. Die Dialoge setzen übrigens auf die klassische Auswahl von drei bis fünf oder mehr Antworten. BioWare setzt den Echtzeitansatz von Mass Effect, also das aktive Unterbrechen oder Über-den-Mund-Fahren während des Gesprächs, hier leider nicht fort. Sprich: Es bleibt technisch bei der alten Baldur's Gate 2-Dialogmechanik.

Zu Beginn der Reise ins Fantasyreich "Ferelden" stand zudem Ernüchterung, was Art&Design sowie grafische Feinheiten angeht. Auf den ersten Blick wirkt das Spiel nicht wie aus einem Guss und sieht fast aus wie ein aufgepimptes The Elder Scrolls IV: Oblivion - es erinnert eher an glänzende High-Fantasy als an dreckige Mittelalter-Fantasy, die ich erwartet hatte: die Plattenpanzer der königlichen Garde strahlen silber und golden, die Schwerter sind übertrieben groß, Gras und Büsche im Hintergrund sehen statisch und texturschwach aus, Metall- und Holztexturen lassen zu wünschen übrig und zwischen die auf den Rücken geschnallten Waffen und den selbigen Rücken passt eine Hand; es gab keine Bindung, sondern luftleeren Raum.

All das steht im Kontrast zu den lebendigen Charakteren, die ähnlich wie in Mass Effect mit ihrer Mimik und Gestik begeistern können - zwar befinden sich hier nicht alle auf diesem Niveau, aber die Hauptcharaktere ziehen die Augenbrauen hoch, rümpfen die Nase und zeigen ihren Ärger ganz deutlich. Selbst in den Dialogen mit Nebencharakteren bemerkt man viele individuelle Züge bei den Gesprächspartnern.

Aus der technischen Ernüchterung des Spielbeginns wird irgendwann während der Präsentation doch noch Anerkennung, als die Gruppe in die urigen Korridore des "Turmes von Ishal" kommt: Hier zückt BioWare im Gegensatz zur Außenwelt des Lagers endlich grafische Joker und besticht trotz einer gewissen Sterilität mit Monumentalität, feinen Details und beklemmender Atmosphäre. Als nach einem Kampf die ersten Blutspritzer auf Kettenhemd und Lerderrüstung der Vierergruppe kleben bleiben, vergeht auch der Hochglanzeindruck der Startphase. Auch ein erster Ausflug in die"Koreari Wildnis" konnte uns grafisch wieder versöhnen: Der Wald wird hier zwar nicht so frei und offen erforschbar sein wie in Oblivion oder Two Worlds, aber dafür wirkte er durchaus stimmungsvoll. Die Frage ist nur: Wie groß ist er?

Wenn es zum Kampf kommt, könnt ihr sofort pausieren und in Ruhe Waffen oder Zauber wechseln. Letztere lassen sich übrigens klug kombinieren: Man kann ein arkanes Feuerchen mit Wind noch anheizen, man kann die Feuerwand eines feindlichen Magiers mit einem Frosthauch löschen um an die dahinter postierten Bogenschützen zu kommen. Außerdem soll man zwei, drei Zauber koppeln können, um besonders verheerende Flächenbrände oder Detonationen auszulösen - gerade dieses magische Experimentieren könnte Spaß machen.

Eure Recken schlagen natürlich auf Grundlage ihrer Werte im Nahkampf zu, was bisher allerdings noch nicht packend genug choreografiert wird. Es gibt zwar einige gelungene Hieb- und Stichanimationen, aber die wiederholen sich sehr schnell und man vermisst noch individuelle Bewegungen, mehr sattes Krachen von Schwert auf Schild und vor allem eine gute Kollisionsabfrage, da Freund manchmal durch Feind lief und umgekehrt. Ideal für taktische Kämpfe ist der Perspektivwechsel in die schräge Draufsicht à la Baldur's Gate 2. Hier kann man besser auf versteckte Bogenschützen oder entfernte Magier reagieren.

BioWare hatte im Vorfeld versprochen, dass man sich an G.R.R. Martins Winterfellsaga orientieren wolle, was Intrigen und Charakterzeichnung angeht. Das lässt lesende Fantasyfans natürlich neugierig aufhorchen. Können die Kanadier wirklich an das Flair des Bestseller anknüpfen? Ja. Es gab eine Szene, in der sich der König und seine Berater über die nächsten Schritte im Kampf gegen die Bedrohung der dunklen Horden abgestimmt haben. Sie beugten sich über eine Karte und debattierten u.a. über die Vor- und Nachteile einer Guerilla-Aktion, an der eure Gruppe federführend beteiligt sein sollte - sie diskutierten also über euer Schicksal. Und hier spürte man sehr schön, anhand von kleinen Seitenhieben und verstohlenen Blicken, das die Autoren an diesem Königshof ein Spiel aus Treue, Pathos, Intrigen und Heuchelei aufbauen. In Sachen Dialogkultur und Story schlummert hier sehr viel Potenzial.

Das große, aber auch stark an die Choreographie der Herr der Ringe-Filme erinnernde, Highlight war gegen Ende der Präsentation die Inszenierung sowie der Blick auf die Schlacht zwischen Menschen und der orkischen Horde, die wie fauchende Zombies wirkten: Ihr übernehmt mit eurer Vierergruppe einen scheinbar kleinen Nebenauftrag in einem Turm, wo ihr Leuchtfeuer entzünden sollt, während unter euch das Gemetzel beginnt. Mauern brechen unter euch weg, Feuerpfeile schwirren an euch vorbei und die Zeit drängt - Helms Klamm lässt grüßen. Spätestens hier bekamen wir einen Vorgeschmack auf die Dramatik und den Nervenkitzel, der in diesem Abenteur stecken könnte. Auch der finale Bosskampf konnte sich sehen lassen: Ihr kämpft mit der ganzen Gruppe gegen einen riesigen Oger und müsste klug Zauber und Spezialattacken wie den Schildstoß einsetzen, um eure Freunde aus seinen Klauen zu befreien und ihm irgendwann den finalen Schwertstoß zu versetzen - der wird übrigens überaus martialisch in Zeitlupe inszeniert; hier kam fast ein wenig God of War-Pathos auf.

Unterm Strich hinterließ Dragon Age noch gemischte Gefühle. Während die Inszenierung der großen Schlachten, Gestik und Mimik sowie die Gesprächskultur und vor allem die spürbaren Konsequenzen überzeugten, ernüchterte der grafische Bruch zwischen Kulissen und Charakteren. Außerdem wirkten die einfachen Kämpfe noch nicht so wuchtig, flüssig und elegant. Ein großes Fragezeichen steht zudem hinter der großen Stärke des geistigen Vorgängers: Der Partyinterkation. Es gab während der Präsentation keine einzige Szene, in der sich Gruppenmitglieder in irgendeiner Form geäußert hätten - sie liefen wie Untergebene mit. Und obwohl wir nachhakten, wollte man uns dazu noch nichts sagen. Lediglich das Auftauchen einer weiblichen Nebenfigur sorgte für erzählerisches Interesse: Sie nennt sich "Morrigan" und soll eine wichtige Rolle im Laufe des Abenteuers spielen - als geheimnisvolle Beobachterin, die immer wieder zynische bis mysteriöse Kommentare abgibt.

Ein weiteres Fragezeichen steht hinter dem Erkundungsdrang und den Städten: Wir haben nur ein spärlich bevölkertes Lager gesehen sowie eine pompöse, aber nahezu leere Festung. Wird es Tumult und Leben in Siedlungen und Dörfern geben oder konzentriert man sich ganz auf intensive Kampfsituationen? Will BioWare euch von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz hetzen oder hat man auch Zeit, die Welt zu erforschen?

Aber bei fast allem, was noch für Skepsis sorgt, handelt es sich - bis auf die Partyinteraktion und Erkundungsreize - meist um technische Defizite, die man bis 2009 viel eher in den Griff kriegen kann als grundsätzliche Probleme in Sachen Atmosphäre oder Erzählkultur. Und hier haben mich vor allem die königlichen Beratungen mit ihren angenehm intriganten Zügen überzeugt, da sie durchaus an erwachsene Fantasy im Stile eines G.R.R. Martin erinnerten. Unterm Strich hat mich das bisher Gezeigte zwar noch nicht begeistert, aber sehr neugierig gemacht. Mein Ersteindruck ist ein guter.