gc-Eindruck: Crysis 2

Crysis 2
20.08.2010 16:02, Paul Kautz

gc-Eindruck: Crysis 2

Crysis war vor allem eines: eine grafische Bombe. Ist es auch heute noch, es gibt immer nicht so wahnsinnig viele Rechner, die die volle Detailstufe des Korea-Shooters stemmen können. Behält man die Präsentationspracht des drei Jahre alten Vorgängers im Hinterkopf, ist Crysis 2 (ab 8,98€ bei kaufen) (C2) in erster Linie eines: krümelig. Okay, es gab auf der Messe nur den Mehrspielermodus zu spielen, und das in einer sehr frühen Fassung, und außerdem noch ausschließlich auf der Xbox 360. Nichts gegen die Power der röhrenden Kiste, und das Crytek Geilografik kann, steht außer Debatte – aber das auf der Messe Gezeigte/Spielbare war nur besserer Durchschnitt.

Der Mehrspielerteil wird von dem britischen Team Free Radical entwickelt, das nach seinem Aufkauf durch Crytek in Crytek UK umbenannt wurde – und davor durch die Time Splitters-Reihe Berühmtheit erlangte. Der Multiplayerpart von C2 ist das gegenwärtige Hauptprojekt des Teams und sieht sich in direkter Konkurrenz zu Schwergewichten wie Call of Duty: Modern Warfare 2, Battlefield: Bad Company 2 oder dem kommenden Medal of Honor. Die große Frage ist natürlich: Wie viel Neues und/oder Interessantes gibt es aus einem Shooter noch heraus zu holen?



Die Antwort ist nach gegenwärtigem Stand, dass Crytek UK das Ballerrad nicht neu erfinden wird. Man liefert absolut solide Leistung, die sich in fast jeder Hinsicht an der einen oder anderen Konkurrenz orientiert, aber nur wenig selbständiges bietet. Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal ist wie schon im Solobereich der Nanosuit. Während der für Solisten einige Optionen bietet, war er in der auf der Messe spielbaren Fassung auf zwei beschränkt: mehr Stärke und Unsichtbarkeit. Hat man genug Energie, die sich automatisch wieder füllt, kann man kurzzeitig besser ballern oder aus dem Sichtfeld des Feindes verschwinden, jedenfalls im Großen und Ganzen. Der taktisch kluge Einsatz dieser Extras ist entscheidend, denn gerade die Unsichtbarkeit ermöglicht das unbemerkte Heranschleichen an potenzielle Gegner – jedenfalls so lange diese nicht auf einen für geübte Augen deutlichen Verschwimm-Effekt achten, der den Unsichtbaren verrät.

Sechs Spielmodi werden im fertigen Spiel dem Kampf der Marines gegen die Krieger der C.E.L.L. ein Schlachtfeld bieten, zwei davon waren auf der gamescom spielbar. Der eine nennt sich "Team Instant Action", könnte aber genauso gut auch "Team Deathmatch" heißen – ist nämlich das gleiche. Zwei Teams, jeweils maximal sechs Mann stark, ballern so lange aufeinander, bis ein Zeitlimit abgelaufen ist. Kennt man, mag man. Die zweite Variante namens „Crash Site“ ist für Shooterkenner ebenfalls ein alter Hut, denn das Spielprinzip des Flaggenbesetzens ist spätestens seit Battlefield 1942 nicht mehr so richtig neu. Allerdings campt man jetzt nicht um Flaggen herum, sondern um abgestürzte Kapseln, die gerettet bzw. vom gegnerischen Team erobert werden müssen. Die große Besonderheit des Mehrspielermodus ist, dass man nicht nur im normalen Rang aufsteigt (davon soll es 80 geben), sondern der Nanosuit separat aufgemotzt wird: Je nachdem, ob man eher auf Stärke oder Unsichtbarkeit setzt, gibt es für die jeweilige Funktion mehr oder weniger Erfahrungspunkte, die ihrerseits dafür sorgen, dass mehr als 20 Suit-Upgrades freigeschaltet werden. Mit denen  (sowie den über normale Ränge freigespielten Waffen und Upgrades) kann man seine ganz persönliche Spielerklasse zusammenbauen – wer darauf keine Lust hat, beschränkt sich auf die fünf vordefinierten Klassen, die von "Assault" über "Sniper" bis "Ghost" die üblichen Verdächtigen bietet. Sammelwütige dürften sich außerdem über die Nachricht freuen, dass es wie bei Bad Company 2 einen Riesenhaufen Plaketten und Auszeichnungen zu hamstern gibt.



In Sachen Präsentation hat man an Crysis 2 natürlich entsprechend hohe Erwartungen, die bislang nicht erfüllt werden können: Die beiden spielbaren Levels (ein zerfallenes Hotel sowie ein großes Hausdach) boten eine interessante, detailreiche, realistische, auf dem tatsächlichen New York basierende Architektur, aber die Mischung aus krümeliger Darstellung, flimmernden Texturen und für meinen Geschmack zu vielen klickibunti-Effekten machte das Spielen an sich ziemlich chaotisch – teilweise waren die Figuren selbst schlecht zu erkennen. Neben Haupt- und Sekundärwaffe hat man auch Zugriff auf einen Hitzesensor sowie Granaten. Außerdem gibt es zwei Sprungvarianten: Variante A ist der normale Wald- und Wiesenhüpfer. Für Variante B muss man die Sprungtaste gedrückt halten; dadurch gewinnt man nicht nur an Höhe, sondern kann auch auch an Vorsprüngen festhalten und hochziehen – das kostet aber ein kleines Stück der wertvollen Nanosuit-Energie. Interessant ist auch die Killcam: Wird man erledigt, bekommt man seine letzten Sekunden nicht nur aus der Sicht des siegreichen Gegners zu sehen, sondern wirft ab und zu auch einen Zeitlupenblick auf den Einschlag der schlussendlich fatalen Kugel.

Adel verpflichtet, und wenn ein Spiel mit "Crysis" im Namen nicht grafisch aus den Socken hauen kann, dann stimmt etwas nicht mit der Welt, in der wir leben. Aber gut, es war eine frühe Fassung, die nur auf Konsole lief, also behalten wir uns mal optimistische Hoffnung vor – Crytek hat in dieser Hinsicht noch nie enttäuscht. Was den Mehrspielermodus betrifft, bin ich schon skeptischer: Was bislang spielbar war, war solide und unterhaltsam, aber genau wie beim letzten Medal of Honor-Betatest konservativ und ideenarm. Wenn man mich fragen würde, warum man dafür seinen gegenwärtigen Lieblingsshooter zur Seite legen sollte, wüsste ich keine Antwort darauf.

gc-Eindruck: befriedigend