devcom 2018 - Teut Weidemann seziert das Reizthema Lootboxen: "Benutzt keine Kisten!"

devcom 2018
19.08.2018 18:51, Jan Wöbbeking

devcom 2018 - Teut Weidemann seziert das Reizthema Lootboxen: "Benutzt keine Kisten!"

Das Reizthema des Jahres spielte auch auf der Devcom eine Rolle, und zwar unter dem Titel "Loot Boxes - TTF". Industrieveteran und Berater Teut Weidemann erinnerte in seinem Vortrag daran, dass sich im Jahr 2018 sogar die New York Times dem Thema des in die Kritik geratenen Monetarisierungsmodells annahm. Dabei handle es sich keinesfalls um etwas Neues: Schon im Jahr 1886 sei das Schema beim Verkauf von Baseball-Sammelkarten erstmals zum Einsatz gekommen.

Später hätte Magic The Gathering das Prinzip genial umgesetzt – bei dem seltene Karten schon mal einen Wert von bis zu 27.000 Dollar entwickeln könnten. Nach einem geschichtlichen Exkurs in die System-Details unterschiedlicher Free-to-play-Spiele wie dem prägenden Puzzle & Dragons im Jahr 2012 wurden auch ein paar Empfehlungen für Entwickler darüber präsentiert, wie sich fortschrittsrelevante „Power“-Belohnungen und kosmetische Exemplare sinnvoll einbauen ließen.

Ein Leitspruch lautete dabei: Wenn man Lootboxes einsetzt, dann sollte man sie ins Zentrum des Spiels stellen und alles andere darum bauen (wobei Weidemann sich primär auf Free-to-play-Titel bezog). Das aufgesetzte Hinzufügen von Lootboxes als Add-on funktioniere dagegen nicht. Wer den Spieler glücklich machen wolle, sollte sicherstellen, dass dieser „Power“-Gegenstände erhalte und nicht nur bei den Kunden deutlich unbeliebteren Kosmetik-“Schrott“.

Mit dem Einsatz unterschiedlicher Elemente, die sich z.B. im Stein-Schere-Papier-System ausstechen, könne man Inhalte auf einfache Weise verdreifachen, ohne dass der gestresste Grafiker Überstunden für das Design zu vieler Monster, Waffen & Co. schieben muss. Die Beliebtheit von Lootboxes bei Entwicklern rühre primär daher, dass ihre Implementierung anfänglich einfach umzusetzen sei. Sie auf Dauer vernünftig zu pflegen, sei hingegen umso schwieriger, z.B. wenn Entwickler nicht für eine ausreichende Item-Vielfalt sorgten. Hinzu käme das Problem der „Diminishing Returns“, aufgrunddessen z.B. bei Hearthstone Erweiterungen nötig geworden seien (nebenbei bemerkt hätten in diesem Spiel zudem die Trading-Optionen für Spieler das Monetarisierungssystem zerstört).

Die wichtigste Erkenntnis und Empfehlung an Entwickler lautete allerdings: „Benutzt keine Kisten!“ Es gebe schließlich eine sinnvollere Alternative zur Lootbox: Den klassischen Loot-Table, wie er schon in World of Warcraft perfektioniert worden sei. Er gebe dem Spieler die Möglichkeit, gezielter Einfluss auf seinen Fortschritt zu nehmen. Trotz eines gewissen Zufallsfaktors seien spezifische Belohnungen dort an Gebiete, Bosse oder Tier-Systems gebunden. So könne man sich mit einem genaueren Ziel vor Augen auf die Jagd begeben - und nebenbei solange den Partner in den Urlaub schicken, um genügend Zeit zu haben.

Bei kompetitiven Multiplayertiteln wie Overwatch mit der nötigen Chancengleichheit dagegen sei es allgemein extrem knifflig, eines der oben erwähnten Systeme unterzubringen – vor allem, da die Nutzer in vielen Fällen schon ein üppiges Anfangs-Investment getätigt haben. Im Bereich der Vollpreisspiele hatte Weidemann also kein Patentrezept. In Star Wars Battlefront 2 habe Electronic Arts aber natürlich einige schlechte Entscheidungen getroffen, etwa die frustrierend lange Zeit zum Freischalten von Figuren wie Darth Vader. Ein Nachteil des PR-Desasters für EA sei, dass sie aufgrund der wachsamen Öffentlichkeit nie wieder Lootboxes einsetzen könnten. Das gelte aber zum Glück nicht für andere Entwickler, wenn sie die Monetarisierung geschickt konzipieren, so das Fazit.