The Witcher: Ersteindruck

The Witcher
20.08.2005 16:49, Jörg Luibl

The Witcher: Ersteindruck

Ein Krieger mit katzenhaften Augen und flatterndem weißen Haar setzt zu einem zweihändigen Überkopfhieb an: Das Schwert beschreibt einen eleganten Bogen, bevor sich die Klinge durch Leder, Haut und Knochen frisst - Kopf ab, Blut raus, umdrehen, weiter kämpfen. Aber mit welchem Stil? Dem schnellen oder dem langsamen? Trotz der Echtzeit-Action verlangt das Kampfsystem taktische Entscheidungen wie Paraden, Ausweichen oder Zaubereinsatz von euch bzw. von Geralt von Rivia. Er ist ein professioneller Monsterjäger, aber nicht mehr ganz Mensch - seine Sinne sind schärfer, sein Körper heilt schneller, in seinen Adern fließt arkanes Blut. Er ist der einzige Held, es gibt keine Charakterwahl, aber dafür kann er sowohl kämpfen als auch zaubern.

Die Schritte, die Hiebe, das Licht, die Katakomben - wow. Verdammt, sieht das gut aus. Man erkennt BioWares Aurora Engine ja kaum wieder! Das polnische Team von CD Project hat u.a. mit Hilfe von High-Level-Shadern und weichen Schattenwürfen eine unglaublich faszinierende mittelalterliche Kulisse gezaubert: Kein bunter Elfenkitsch mit glänzenden Farben, keine schillernde High-Fantasy à la Dungeons&Dragons, sondern eine von Braun- und Grautönen geprägte mittelalterliche Welt, in der Stahl, Stoff und Leder ganz natürlich wirken. Es gibt blutrote Sonnenuntergänge, plötzliche Regengüsse und eine Physik-Engine, die Körper und Kisten korrekt fallen oder brechen lässt.

Das Spiel heißt nicht umsonst "The Witcher" und daher gibt es auch eine Vielzahl an spektakulär inszenierten Hexenkräften: Ihr könnt euch z.B. eine Kugel der Unverwundbarkeit zaubern oder in eine Nachtsicht im Stile von Splinter Cell schalten, so dass die rot glühende Wärme selbst Feinde hinter Wänden verrät.

Aber all der grafische Schnickschnack wäre nur halb so beeindruckend ohne die Philosophie: CD Project will kein Action-Rollenspiel im Stile von Diablo oder Dungeon Siege abliefern, sondern ein echtes, erwachsenes und erzählerisch intelligentes Fantasy-Epos - offene Dialoge, nicht-lineare Story, Quests mit mehreren Lösungswegen, ein spielentscheidender Ruf und drei mögliche Enden. Ihr könnt zwar alles und jeden attackieren, selbst den König, aber alles hat Konsequenzen: Ähnlich wie in Gothic ermahnen euch die Wachen z.B., wenn ihr einfach euer Schwert in der Stadt zieht. Und im Gegensatz zu Star Wars: Knights of the Old Republic könnt ihr euch die Entscheidung zwischen Gut, Böse oder irgendetwas dazwischen nicht bis zum Schluss offen halten: Aufgrund eurer kaltblütigen Aktionen gibt es irgendwann einen "point of no return" - ihr seid ein Geächteter - basta.

Der Rollenspielcharakter wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass die düstere Welt auf den Romanen von A. Sapkowski basiert: Menschen knechten die letzten Reste von Elfen und Zwergen, es gibt Rassismus, Gewalt, Drogen und Prostitution. Über 200 Zwischensequenzen sollen für die nötige Stimmung und dramaturgische Akzente sorgen. Was wir bis jetzt gesehen haben, wirkte in Sachen Regie bereits hervorragend.

Klasse Grafik. Klasse Kampfsystem. Interessante Welt. 30 - 50 Stunden Spielzeit. Die Edge und andere internationale Magazine freuen sich zu Recht: Hier ist hochkarätige Konkurrenz für die ganz großen Rollenspiele im Anmarsch: The Witcher spielt in einer Liga mit Oblivion und Gothic 3. Ich kann es kaum erwarten, bis die erste Fassung bei uns eintrudelt. Momentan sucht das Team noch einen Publisher für einen weltweiten Release im Jahr 2006. Bei der Qualität dürfte die Suche nicht mehr lange dauern.